Stefan Strauss
Halina Hildebrand hat Behinderte und Kranke porträtiert. Es sind Bilder voller Würde und Respekt
In den Fluren des Gesundheitshauses in Pankow hängen 55 großformatige Fotografien, auf denen behinderte und demente Menschen zu sehen sind. Manche schauen mit offenem Blick in die Kamera, manche wirken selbstbewusst, andere schüchtern, es sind Alte und Junge, Demente, Verkrüppelte, psychisch Kranke, Agile und Apathische, manche gehen gerade, manche gebeugt, manche sitzen im Rollstuhl.
Halina Hildebrand hat diese Menschen fotografiert, sie besuchte Wohngemeinschaften für Demenzkranke, ging in Pflegeheime, in Werkstätten für Behinderte und schaute bei Proben der Theatergruppe Ramba Zamba zu. “Diese Menschen sind oft voller Lebensfreude, sie empfinden sich als normal, das ist ihre Realität.”
Halina Hildebrand, 57, ist keine gelernte Fotografin. 17 Jahre lang führte sie eine Praxis für Naturheilkunde, 2007 verkaufte sie sie und begann sich mit Fotografie zu beschäftigen. Sie besuchte Seminare und Kurse, auch an der Fotografenschule Ostkreuz. Halina Hildebrand sagt, sie fotografiere vor allem Menschen, die es schwer hätten im Leben, Kranke, Obdachlose, Behinderte. “Ich will ihnen durch authentische und würdevolle Bilder eine Plattform bieten.” Sie weiß, das ist schwer. Sie muss vorsichtig arbeiten, Ruhe und Geduld haben. Sie sagt, sie gehe sanft auf die Menschen zu, wolle ihr Vertrauen gewinnen, sie nicht vorführen und nicht enttäuschen. Kein Bild wird veröffentlicht, ohne dass die Porträtierten oder die engsten Angehörigen zugestimmt haben.
Von der Stille in die Öffentlichkeit
Axel, dessen Nachname nicht genannt werden soll, war erst skeptisch. Halina Hildebrand hat den zurückhaltenden Mann an mehreren Tagen fotografiert. Axel sagt, anfangs sei er nicht sicher gewesen, ob er die Fotos zur Veröffentlichung freigeben wolle. Dann sah er sein Porträt und war stolz darauf. “Da werden Bilder von Menschen in die Öffentlichkeit getragen, die sonst im Stillen leben”, sagt der 47-Jährige. Er spielt Theater bei Ramba Zamba, seit 2004 ist er behindert. Ein Auto fuhr ihn um, mit Schädeltrauma und Knochenbrüchen kam er ins Krankenhaus, bis heute leidet er an Gedächtnisverlust. So kann er sich keine Namen mehr merken.
Auf einem der Flure mit den Fotografien hat der Mediziner Detlev E. Gagel sein Arbeitszimmer. Gagel ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Gesundheitsamt Pankow, er hatte die Idee zu der Ausstellung. Gagel kennt einige der Porträtierten, sie kommen in seine Sprechstunde, auf dem Gang befinden sich die Räume des Sozialpsychiatrischen Dienstes und die Beratungsstelle für behinderte Menschen.
Gagel freut sich über die Fotoausstellung, sie sei eine “enorme Bereicherung”. Behinderte würden mit dieser Ausstellung in den Alltag integriert, doch sie sei auch ein Experiment. “Es könnten sich einige Besucher von den Bildern beobachtet fühlen.” Manchmal können Menschen mit Behinderung direkte Blicke anderer nicht ertragen, und seien es nur Blicke von Bildern.
Doch auch wer ohne Behinderung lebt, kann Menschen, die anders aussehen, ungewöhnlich und krank, die sich mit körperlichen Gebrechen durchs Leben quälen, oft nicht ohne Scheu ansehen. Man hat Sorge, diesen Menschen durch Blicke deutlich zu machen, dass ihr Anderssein auffällt. Darum schaut man heimlich und fühlt sich wie ein Voyeur.
Als die Ausstellung eröffnet wurde, kamen auch einige der Menschen, die Halina Hildebrand fotografiert hat. Sie waren aufgeregt, lautes Lachen und Reden war zu hören, aufgeregt zeigten sich die Porträtierten ihre Fotos auf den Fluren. So viel gute Laune und Entspanntheit erlebt man selten bei einer offiziellen Ausstellungseröffnung.
Berliner Zeitung vom 30.03.2011