GedankenGänge

Fotografien von Halina Hildebrand im Gesundheitshaus Pankow
Erika Költzsch
23. Februar 2011

Das Gesundheitshaus Pankow folgt mit seiner Architektur aus dem Jahr 1928 einer eigenwilligen Farb- und Formgebung, seine Atmosphäre geht weit über das bloss funktionelle einer Behörde hinaus. Man wird von starker Farbigkeit überrascht, ja sogar provoziert, man wird von Farbverläufen geführt und von Formeinheiten gehalten. Das Gebäude löst den Anspruch ein, die Menschen, die es betreten, mit einzubeziehen.
Die Menschen, die hier ein und aus gehen, sind Sozialarbeiter, Ärzte, Therapeuten und Menschen mit Behinderungen.
Das Gesundheitshaus Pankow sollte mit seiner Errichtung 1928 eigentlich beispielhaft für viele weitere Einrichtungen der Volksgesundheit im Dienste der Menschen werden. Die Weltwirtschaftskrise hat es damals verhindert.

Und nun eine Ausstellung mit Bildern der Fotografin Halina Hildebrand, einer Fotografin, die es liebt, Menschen zu fotografieren. Und die eine ihr eigene Annäherung an die Menschen mitbringt. Im Porträt.

Seit Jahrhunderten werden Porträts vorwiegend eingesetzt, um den Reichen und Mächtigen ein Denkmal zu setzen. Die abgebildete Person wird von ihrer besten Seite gezeigt, sie wird romantisiert und manchmal glorifiziert. Die offizielle Seite der Person wird hervorgehoben. Seit dem Aufbruch der Moderne und der Verbreitung der Psychoanalyse, wird das Porträt zunehmend psychologisch gedeutet. Die innere Essenz der Porträtierten bzw. die künstlerische Interpretation dieser wird zum eigentlichen Sujet.
Das Porträt bildet also einerseits ab und ist auf der anderen Seite Symbol von etwas weitaus Allgemeinerem als nur die Darstellung einer Persönlichkeit aus einem bestimmten Kreis. Das Gesicht gilt als „Abbild der Seele“.

Und nun zurück zu Halina Hildebrand.

Hildebrands Bilder wollen nicht im herkömmlichen Sinne repräsentieren, sie zeigen keine Reichen und Mächtigen, keine Hochglanzporträts der Gesellschaft.
Hildebrands Interesse geht einen anderen Weg. Sie sucht all das, was wir „Abbilder der Seele“ bezeichnen können, aber noch vieles mehr.
Einerseits zeigen ihre Porträts auch die offizielle Seite einer Person, d.h. der Dargestellte weiß von dem Foto und hat seine Zustimmung gegeben, und sie sind andererseits doch privat, weil Hildebrand es schafft, fast intime Momente von Menschsein festzuhalten.
Hildebrands Fotografien verstehen es, den einzelnen Menschen psychologisch zu deuten und sind zugleich Metaphern für all das Menschliche, wofür sich die Künstlerin seit etwa 3 Jahren interessiert und mit denen sie sich bildnerisch auseinandergesetzt hat. Es sind dies u.a. auch Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung.

Halina Hildebrand, die in ihrem früheren Leben Heilpraktikerin war, hat aus ihrem medizinischen Beruf zwei Dinge in ihre Fotografie übernommen: Demut und Aufmerksamkeit.
Demut vor der Schöpfung und Aufmerksamkeit gegenüber dem Leben: Beide prägen das Interesse der Fotografin.
Was Hildebrand beim Fotografieren noch auszeichnet, ist ihre Experimentierfreudigkeit.
Sie hat keine professionelle Fotografenausbildung, aber etliche fotografische Schulen durchlaufen. Damit ist sie in der komfortablen Situation des Quereinsteigers, vieles zu probieren und nichts von vorne herein verwerfen zu müssen.

Demut, Aufmerksamkeit, Experimentierfreudigkeit: Diese Charakteristiken lassen Hildebrands Fotografien innerhalb der Fülle anderer Fotoarbeiten bestehen, machen sie zu künstlerisch engagierten Statements zum Leben. Sie zeigen Gesichter und Gegenstände als Aspekte der Welt. Und sie beschäftigen sich mit ausgesuchten Menschen, die posieren oder sich spontan und unverstellt zeigen. Hier in dieser Ausstellung zeigen sich Menschen von der Straße, Menschen in sozialen Einrichtungen und Menschen aus dem Theater Ramba-Zamba.
Dabei gehen die Fotografien behutsam mit diesen Menschen um. Wie ist das zu verstehen?
Nach Susan Sontag beinhaltet der Akt des Fotografierens auch etwas Räuberisches, das dem Menschen fast Gewalt antut. Man sieht das Modell so, wie es sich niemals sehen kann. Fotograf und Betrachter erfahren vom Porträtierten etwas, dass ihm selbst verborgen bleibt – seine Verletzlichkeit, Wandelbarkeit und Sterblichkeit.
Hildebrands Fotos haben nichts Gewalttätiges an sich. Wohl aber zeigen sie die Verletzlichkeit des Menschen. Und dessen Stärke.
Im Grunde genommen sind Halina Hildebrands Portraits Stellvertreter für all die Geschichten, die mit dem Leben und seinen Schönheiten und Hässlichkeiten zu tun haben. Sie sind Stellvertreter für Allerweltsschicksale mit großen Gefühlen und großen Katastrophen, sie sind Stellvertreter für besondere Schicksale, die ein Leben zu meistern haben,  das manchmal so unerträglich schwer ist und manchmal so wunderschön leicht sein kann. Und in diesem Sinne sind Hildebrands Porträts unbedingt repräsentativ, weil sie alle Facetten unserer Gesellschaft und alle Möglichkeiten des Menschseins zeigen.
Zu einigen Porträts hat die Fotografin abstrakte Bilder hinzu komponiert, die dann eine ähnliche Funktion einnehmen: als Statthalter -für Gedanken und Gefühle, für seelische Leerräume und Überfülle, für psychische Irritationen und Klarheiten, für menschliche Wunschträume und Horrorszenarien. Sie sind als sozusagen „abstrakte Brüder und Schwestern“ zu den dargestellten Portraits zu verstehen und zu werten.

Halina Hildebrands Arbeiten passen ungemein gut in dieses Haus.
All das, was sich in ihren Arbeiten ausdrückt, allem voran die Achtung vor dem Menschen, verbindet sich aufs beste mit dem einstigen und heutigen sozial- humanistischen Anspruch des Gesundheitshauses. Hildebrands fotografische Experimentierfreudigkeit kommt ausgezeichnet mit der unkonventionellen Architektur und der einst und heute noch fortschrittlichen Ideologie des Hauses zurecht.
Was aber noch viel wichtiger ist:
Mich persönlich haben die Bilder sehr berührt, manche haben mich gar getroffen, weil sie Verletzlichkeit und Größe und Stolz der dargestellten Menschen auf wunderbare Weise im Porträt vereinen, weil sie das Erhabene und Grandiose eines jeden Einzelnen hervorheben und uns seine Einzigartigkeit im Universum vor Augen führen. Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass es Ihnen beim Betrachten der Arbeiten genauso ergeht wie mir und wünsche Ihnen beim Rundgang viel Freude beim Entdecken.